Interview mit Igor Strelkow, veröffentlicht am 13. April 2015
Dieses Interview fand im Hauptsitz der Bewegung "Neurussland" am Stadtrand von Moskau statt. Der legendäre ehemalige Verteidigungsminister der Volksrepublik Donezk, Igor Strelkow, äusserte ganz trocken die Ansicht, dass seine Rolle als Sprecher für ihn eine Last geworden ist. Jedoch könne nichts getan werden, wenn das Wort als Waffe nur in den Händen verbleibt. Das heißt, wir müssen das Wort als Waffe einsetzen. Wir begannen ein längeres Gespräch. Ich wollte von Strelkow mehr wissen ...
"FRÜHER ODER SPÄTER WERDEN WIR ALLE IN EINEN EINTRETENDEN KRIEG VERWICKELT WERDEN"
von Alexander Bowdunow, Nachrichtenagentur "Novorosinform"
(übersetzt von mir)
Frage: Guten Tag, Igor Iwanowitsch.
Igor Iwanowitsch: Hallo.
Frage: Zur ersten Frage in diesen Tagen, wo genau ein Jahr seit dem Beginn des als "Russischer Frühling" bekannt gewordenen Geschehens vergangen ist. Wie würden Sie die wichtigsten Ergebnisse des "Russischen Frühlings" bewerten? Ist dieser "Russische Frühling" beendet worden? Und welche sind die Aussichten für die weitere Befreiung des russischen Territoriums im Südosten der Ukraine?
Igor Iwanowitsch: Das wichtigste Ergebnis dieses einen Jahres nach dem Beginn des "Russischen Frühlings" besteht darin, dass die Wiedergeburt des russischen Volkes alle seine Feinde sowohl außerhalb Russlands als auch innerhalb Russlands in Angst versetzt hat. Es wurden alle Anstrengungen unternommen, um den Prozess abzuschwächen, zu negieren, ihn in den Mainstream der so genannten internationalen Beziehungen einfliessen zu lassen und, wenn ich so sagen darf, zu recyceln.
Frage: Aber die meisten Beobachter und Experten, die vom Kreml und selbst den patriotischen Kräften zitiert werden, äussern wirklich, dass die Ukraine ein anderes Land ist und alles im Rahmen der internationalen Beziehungen gelöst werden sollte. Warum nicht?
Igor Iwanowitsch: Darum sage ich, dass die Volksbewegung zu negieren versucht, die Tatsache zu ignorieren versucht, dass im Jahr 1991 das russische Volk bei lebendigem Leibe in mehrere Stücke zerbrochen worden ist. Im Ergebnis des Prozesses sind die Beamten und Oligarchen im Raum der ehemaligen Sowjetunion so verängstigt über eine mögliche Vereinigung, dass sie sich zu einer Mannschaft zusammengetan haben und versuchen, die Volksbewegung in ein "nach dem Völkerrecht" zu treiben und sie in aller Stille zu ertränken.
Weil dieser Prozess bereits im Gange ist, ist es unrealistisch, ihn mit der Bürokratie wieder zurück zu drehen. Zweifellos geht der Krieg in der Ukraine weiter, wird es eine weitere Eskalation der Situation geben. Die Vereinbarungen von Minsk werden vereitelt werden, denn hinter dem Ozean ist man sehr interessiert daran, dass in die Ukraine Krieg herrscht. Sie möchten dort in Russland einen Krieg sehen. Jetzt unternehmen sie dafür sehr ernste Anstrengungen.
Und dass die jetzige Regierung in Kiew im Frieden nicht existieren kann, ist ihr völlig bewusst. Aber ich hoffe aufrichtig, dass sie diesen Krieg verlieren, was ermöglichen wird, dass der "Russische Frühling" wiedergeboren werden wird. Aber wenn dies nicht unverzüglich geschieht, dann um den Preis sehr großer Opfer und mit dem Ergebnis, welches durch kleine Opfer vor einem Jahr hätte erreicht werden können, wenn der Krieg sehr schnell gegangen wäre. In diesem Fall ist es sehr schwierig, etwas über den zeitlichen Ablauf vorherzusagen. Aber ich denke, dass einen Monat lang die Kämpfe immer und immer wieder in Richtung Russland und seiner Regierung aufflammen werden. Und das wird das gleiche Dilemma: entweder kämpfen und siegen oder kämpfen und kapitulieren.
Generell führen alle Versuche, den "Russischen Frühling" zu stoppen nur zu mehr Blutvergiessen, mehr Opfern. Und sie führen immer zum gleichen Ergebnis: Sieg oder Kapitulation. Entweder stellen wir das Grosse Russland wieder her, zusammen mit den Ukrainern und den Russen. Oder der wildgewordene Westen und die Gegner bescheren uns einen neuen Bürgerkrieg, eine neue Verwüstung nach dem Beispiel von 1917.
Meiner Meinung nach ist alles Geschehende derzeit ein Versuch, dies alles nach dem Drehbuch des 1. Weltkriegs laufen zu lassen. Als am Anfang ein mächtiger Aufschwung des Patriotismus vorhanden war, welcher auch mit der liberalen Presse nicht nur hinsichtlich der traditionellen monarchischen Gebilde oder Staatsmänner gestartet wurde. Aber danach vor dem Hintergrund der Misserfolge, der Niederlagen, sofern diese Erwartungen nicht auf der Stelle patriotisch erfüllt wurden, wurde mit der Propaganda gegen den Staat bereits begonnen, die sich auf die Thesen gründete, dass "der Zar Verrat übte", "die Generäle Verrat übten", die Zarin ein "deutscher Spion" wäre. Es endete im Februar 1917 mit der liberalen Revolution, die liberal war, und die nicht patriotisch war, aber unter der patriotischen Losung der Fortsetzung des Krieges bis zu einem siegreichen Ende stand. Wie es endete, wissen wir alle: im Bürgerkrieg, der zehn Mal mehr Menschen tötete, als im 1. Weltkrieg getötet worden waren. Leider haben unsere Beamten nicht die Geschichte studiert und ist ihr Planungshorizont sehr klein. Ihr Planungshorizont schränkt sich auf einige persönliche Interessen ein. Dies kalkuliert übrigens die Strafen ein. Schließlich sind die Sanktionen in erster Linie an die Oligarchen gerichtet, um sie zu überreden, sich zu ergeben. Noch sind dies keine ernsthaften Sanktionen, die einem Land, das wirklich bereit ist, für seine eigene Souveränität und Unabhängigkeit zu kämpfen, schaden könnten, nein. Schauen Sie sich Iran an, welcher selbst angesichts der gigantischen westlichen Sanktionen, die für die Wirtschaft wirklich schädigend waren, weiterhin existiert und seine nationale Politik, seine Sozialprogramme durchführt.
Frage: Beim Mord an Nemzow klagten unsere Liberalen nicht nur Putin an, wie sie es normalerweise zum Beispiel nach der Ermordung von Anna Politkowskaja getan haben, sondern sie sagen nur, dass Nemzow hier diesen Geist getötet haben würde, der in der Ausrichtung Banderas die nationalen Verräter geweckt hätte. Sie richten Vorwürfe an die Patrioten und die Anhänger Neurussland einschliesslich der "Weissgardisten". Warum wird das gemacht?
Igor Iwanowitsch: Nemzows Ermordung erfolgte, um das Handeln einer Person anzugreifen, und zwar den russischen Präsidenten Wladimir Putin anzugreifen. Erstens war Nemzow nicht beliebt. Und andererseits war er auch kein Führer der Opposition, er widerspiegelte nicht ihre Interessen. Und drittens hat er weder als Politiker noch als Analytiker und nicht mal als Individuum Autorität genossen. Ein Playboy war er, jawohl. Eben ein Stammgast der Moskauer Restaurants, der verschiedenen liberalen Dinnerabende - nicht mehr. Seine Ermordung wird möglicherweise nicht von Vorteil sein dafür, dass Präsident Putin überhaupt damit zu tun hat. Aber aufgrund der Tatsache, daß das äußerst nachteilig ist, und es Putin anzuhängen fast unmöglich ist, sehe ich dies als Hebel einer Einwirkung auf Putin.
Die Erkenntnis, dass er zögert, und die mit dem bloßen Auge zu sehenden Schwankungen, bieten jedoch die willkommene Möglichkeit, die Schuld den Ultrapatrioten als bequeme Ausrede anzulasten, die angeblich das Land in den Krieg und die Niederlage führen würden. Ich kann selbst davon ausgehen, dass die Mörder Vertreter der nationalen Front gewesen sein könnten, die Nemzow hassten und im Dunkeln spielten. Aber das ist auch unwahrscheinlich, weil es zu professionell ablief. Meiner Meinung nach wurde dies organisiert.
Auch wenn sie die Mörder finden, und sie wären wirklich an der patriotischen Bewegung beteiligt, würde dies eine gute Ausrede sein, um sagen zu können: Wladimir Wladimirowitsch, schauen Sie doch, heute töteten sie Nemzow und morgen ergreifen sie die Macht. Aber was tun Sie? Lassen Sie uns zurück gehen in unseren gemütlichen liberalen Sumpf eines Rohstoff-Anhängsels, denn wie gut ist es doch auch auf der Krim gewesen, bevor sie Sie mit diesem ganzen Thema der russischen Welt aufweckten.
Das ist eigentlich ein großer Hebel für einen weiteren Nemzow-Mord, aber er kann nicht verwendet werden. Der Druck auf Putin und gleichzeitig, bevor er die Tür in der Hoffnung öffnet, würde dieser Druck wieder die russische Welt und die Freude überstürzt in die Arme der Liberalen bringen. Und dann die ausgetretenen Pfade: Neurusslands Pflaumen, Krim-Pflaumen. Gut, dann gäbe es wirklich schon einen Maidan.
Frage: Wie wirkt da der Erfolgsdruck?
Igor Iwanowitsch: Hier fällt mir sehr schwer, etwas zu sagen, weil ich nie in meinem Leben mit Wladimir Wladimirowitsch zusammengetroffen bin. Aber meiner Meinung nach ist es unwahrscheinlich, da Wladimir Wladimirowitsch kein dummer Mensch ist und versteht, dass man Prozesse nicht ausser acht lassen und nicht gegen die Strömung angehen kann.
Das Land ist jetzt sehr patriotisch eingestellt. Und im Volk wächst das Verständnis, dass wir zurückbekommen sollten, was rechtmäßig dem Land gehört. Seine Souveränität, die Nutzung seiner Bodenschätze, die dem Volk gehören, die nicht einer Handvoll Oligarchen und ausländischen Unternehmen gehören. Zurückkehren zur sozialen Gerechtigkeit.
Was in den frühen neunziger Jahren zerstört und an dessen Wiederherstellung wir so hart gearbeitet haben, verursachte faktisch das hohe Ansehen des Präsidenten durch die Tatsache, dass er begann, wirklich auf die Bestrebungen des Volkes zu reagieren. Wenn er von dieser Straße abbiegt, wird dies gegen diese Erwartungen wirken.
Diesbezüglich wurde ihm vorgeschlagen, in die zivilisierte europäische Familie zurückzukehren, die ihn sofort verrät, sobald er die Unterstützung der Bevölkerung verliert. Ein sehr geschickter Schachzug. Man könnte sagen, sie sagten zu ihm: "Komm zurück, wir werden alles verzeihen", und dann zusammengehen. Ich denke nicht, dass Wladimir Wladimirowitsch darauf eingehen wird.
(Fortsetzung folgt)