Dieses Schreiben fand ich heute in meinem Mailfach und möchte es hier veröffentlichen:
ZitatAlles anzeigenSehr verehrte Ukrainische Gemeinschaft in Deutschland!
Der Holodomor jährt sich zum Achtzigsten mal. Anlässlich dieses Gedenkens wird in Kyiv im kommenden Herbst meine Erste Symphonie "Holodomor" uraufgeführt. Alexander Motyl, der jüngst die Holodomor-Novelle Sweet Snow herausgegeben hat, wird den Text zur Symphonie verfassen.
Das damit verbundene Projekt hätte im Übrigen ursprünglich auf Einladung der UNESCO im UNESCO Hauptquartier Paris stattfinden sollen. Wir (BeauregART, eine Gruppe bestehend aus Franzosen und meine Wenigkeit) haben es v.a. aber der teils nicht nachvollziehbaren Tatenlosigkeit der Ukrainer zu verdanken, warum wir dieses einzigartige Projekt in Paris aufgeben mussten. Wenig später wurde die Idee aber von einem ukrainischen Journalisten aufgegriffen, dem ich den bisherigen Fortschritt zu verdanken habe.
Artikel: http://tyzhden.ua/Culture/46170 (ukrainisch), http://ukrainianweek.com/Culture/46263 (englisch)
Biografie: siehe Anhang
Nun zum eigentlich Grund meines Schreibens, der Demonstration vor dem Sitz der Münchner Philharmoniker:
Putin hat jüngst den aus der Zeit des Sowjet-Diktators Josef Stalin stammenden und blutbefleckten Ehrentitel „Held der Arbeit“ verliehen. In Deutschland oder Österreich wäre die Verleihung eines Nazi-Titels undenkbar. In Russland scheint dies aber auf Grund der fehlenden Vergangenheitsbewältigung allgemein akzeptiert zu werden, und die Welt schaut dabei zu: http://www.focus.de/politik/au…er-arbeit_aid_977273.html
Einer der Träger des Ehrentitels „Held der Arbeit“ ist der Stardirigent und Putin Freund Waleri Gergijew, der ab 2015 auch Chef der Münchner Philharmoniker werden wird. Es ist unvereinbar, dass ein Orchester einen Dirigenten an die Spitze setzt, der einerseits mit einem umstrittenen und offensichtlich post-kommunistischen Herrscher (Putin) sympathisiert, und andererseits durch seine Entgegennahme dieses stalinistischen Ehrentitels keinen gebührenden Respekt gegenüber den Millionen Opfern des stalinistischen Regimes vermittelt! Wo kämen wir hin, wenn einem deutschen Dirigenten heute ein Nazi-Ehrentitel verliehen werden und dieser gleichzeitig Beethoven´s Neunte Symphonie (Freude schöner Götterfunken ... alle Menschen werden Brüder ...) musikalisch zelebrieren würde? Mit der Annahme der Auszeichnung ignoriert Gergijew die Verantwortung, die ihm als Musiker automatisch zu Teil wird.
Anlässlich des 80-jährigen Gedenkens an die Opfer des Holodomors möchte ich ihnen daher vorschlagen, zu gegebener Zeit vor dem Sitz des Orchesters gegen das künstlerische Engagement von Gergijew und in diesem Zusammenhang auch für die Aufarbeitung kommunistischer Verbrechen (u.a. Holodomor) zu demonstrieren. Eine derartige Demo, die freilich sachlich und zielführend kommuniziert werden muss, würde der so notwendigen Vergangenheitsbewältigung sehr dienlich sein. Ich bin mir sicher, dass viele Medien über die eigentlichen Gründe dieser Demonstration berichten würden.
Seit 2009 habe ich zahlreiche Ukrainer v.a. in der Ukraine, England und Frankreich getroffen. Auf Basis dieser Erfahrungen habe ich zwei wesentliche Gründe ausgemacht, warum die Vergangenheitsbewältigung in Bezug auf die Verbrechen der Sowjets in der Ukraine nicht wirklich voranschreitet (im Gegensatz zur erfolgreichen Vergangenheitsbewältigung in den baltischen Staaten, Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, etc):
1) Der Druck, der seitens der Russen ausgeübt wird.
2) Den stärkeren Grund sehe ich aber in der Bewegungslosigkeit bzw. Lethargie und Angst, die sich durch die über Generationen greifende Unterdrückung tief in die Seele des ukrainischen Volkes eingenistet hat. Diese Angst und Starrheit ist meines Erachtens die wesentliche Hürde, über die die Ukrainer springen müssen, sofern sie ihr Land in eine besser Zukunft führen möchten. Korruption, Zerrissenheit und Kriminalität sind nur die Spitze des Eisberges. Das Unterbewusstsein, die tragende geistige Kraft im Leben eines einzelnen Menschen und somit eines ganzen Volkes, muss von solch einer Angst und Lethargie gesäubert werden. Ohne Bewusstwerdung über die Ursachen dieser Probleme kann aber keine Heilung stattfinden.
"All that is necessary for the triumph of evil is that good men do nothing", sagte einst der Philosoph Edmund Burke. In diesem Sinne wäre solch eine Demonstration eine öffentlichkeitswirksame Gelegenheit, etwas zu tun.
Sofern sie tatsächlich eine Demonstration planen, würde ich die Münchner Philharmoniker (http://www.mphil.de) zuerst schriftlich bitten, von einem Engagement von Gergijew abzusehen. Sollte keine positive Response kommen, wäre dann eine Demo die einzige Option.
Am 7.7. spielen die Philharmoniker am Odeonsplatz / München. Das wäre eine sehr öffentlichkeitswirksame Gelegenheit, etwa bis kurz vor dem Beginn des Konzertes vor tausenden Menschen zu demonstrieren.
Unabhängig von dieser Demonstration wäre ich ihnen sehr dankbar, wenn sie mir Anlaufstellen empfehlen könnten, die dem Symphonie-Projekt eventuell finanziell, medial oder logistisch unter die Arme greifen könnten.
Auf eine Antwort würde ich mich sehr freuen.
Mit freundlichen Grüßen,
Stephan Maria Karl