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Sie kämpfen gegen Sexismus und männliche Unterdrückung. Doch wie n-tv.de schon berichtete, litten die Femen-Frauen selbst jahrelang unter
einem autoritären Anführer. "Jetzt sind wir frei", sagt Aktivistin Alexandra Schewtschenko. Im Interview mit n-tv.de spricht sie über den
schwierigen Kampf der Gruppe und den Rauswurf des ehemaligen Chefs.
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Beim Filmfestival in Venedig wurde "Die Ukraine ist kein Bordell", eine Dokumentation über Femen, vorgestellt.
Wie gefällt Ihnen der Film? Wir haben lange geschwiegen über die Geschichte unserer Gruppe. Aber Kitty Green, die Regisseurin, wollte
unseren Kampf gegen das Patriarchat unbedingt zeigen. Nicht nur den, derin der Öffentlichkeit stattfindet, sondern auch den im Inneren.
Der Film sorgt weltweit für Aufsehen, weil er ein ganz neues Bild von Femen zeichnet. Die Gruppe wurde demnach jahrelang autoritär geführt von
einem Mann namens Wiktor Swjatskij. Er hat die schönsten Mädchen ausgesucht, um auf die Titelseiten der Zeitungen zu kommen.
Ja, wir waren Opfer eines Patriarchen. Das war uns lange peinlich und unangenehm. Aber ich bin fest davon überzeugt: Unsere Geschichte hilft
allen Frauen. Sie zeigt, dass selbst die stärksten Feministinnen Opfer einer männlichen Diktatur werden können.
Welche Funktion hatte Swatskij bei Femen?
Das ist Femen
Femen wurde im April 2008 in Kiew gegründet. Die Organisation setzt sich für Frauenrechte ein und kämpft gegen männliche Unterdrückung und
Sextourismus. Bekannt sind die Aktivistinnen für ihre Oben-ohne-Aktionen. Weltweit zählt Femen derzeit etwa 300 Mitglieder und
hat unter anderem Basen in Frankreich, Deutschland, den USA, Polen, Belgien, Kanada und Spanien. Die Gruppe finanziert sich über Spenden und
den Verkauf von T-Shirts im Femenshop.
Als das mit Femen 2008 begann, haben wir von vielen Menschen Rat geholt. Einer von ihnen war Wiktor. Wir brauchten
seine Hilfe in vielen Bereichen, in denen wir uns nicht auskannten. Aber irgendwann wurde er zu dominant. Er wurde unser Anführer und wir
wussten nicht, wie wir davon wieder loskommen sollten. Das ist typisch für die Ukraine.
Inwiefern?
Ich bin in der Ukraine aufgewachsen. Meine Eltern haben mich mit dem Ziel aufgezogen, einen Mann zu finden. Darauf war meine ganze Erziehung ausgerichtet.
Eine gewisse männliche Dominanz wird in der Ukraine als selbstverständlich angesehen.
Swatskij hat sich also benommen wie ein durchschnittlicher ukrainischer Mann?
Ja, aber als er bei Femen so dominant wurde, haben wir das nicht sofort verstanden. Wir haben ihn zuerst machen lassen, aber irgendwann gemerkt,
dass seine Schizophrenie langsam alle Grenzen überschritten hat. Seine Art wurde immer verletzender, er hat unserer Gruppe geschadet. Er wollte
über uns herrschen, nur weil er ein Mann ist und wir Frauen sind.
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Ist das nicht ein Widerspruch, dass eine Gruppe, die für Frauenrechte und gegen Unterdrückung kämpft, unter einem Patriarchen leidet?
Feminismus kommt ja nicht von irgendwo. Wenn wir das nicht selbst erlebt und diese Art des Patriarchats gespürt hätten,
wären wir nie so wütend und extrem geworden. Wenn man so will, dann hat Wiktor uns das geschenkt. Diese Geschichte hat uns den Willen gegeben,
uns zu rächen. Warum soll uns jemand dominieren, nur weil er ein Mann ist? Irgendwann haben wir gemerkt, dass wir zwar gegen das Patriarchat
kämpfen, aber gleichzeitig selbst Opfer davon sind. Wir mussten uns von ihm trennen, um wieder selbstständig zu sein. Das war ein großer Umbruch für uns.
Wie lief die Trennung genau ab?
Das war im Juni 2012. Zunächst wussten wir nicht, wie wir das anstellen sollten. Wir haben - das zeigt der Film auch - viele schwierige
Gespräche darüber gehabt. Doch durch unsere Aktionen bei der Fußball-Europameisterschaft in der Ukraine haben wir viel Kraft gewonnen
und sind schließlich zu dem Schluss gekommen, dass wir Wiktor nicht mehr brauchen. Dann haben wir ihn rausgeschmissen.
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Hat er das einfach akzeptiert?
Nein, es fiel ihm sehr schwer. Wiktor hat mit uns gestritten und viel geschimpft, aber dann ist er gegangen. Seitdem sind Anna Huzol, Inna
Schewtschenko und ich die Anführerinnen von Femen. Wir wussten dann monatelang nicht einmal, wo Wiktor ist. Später haben wir ihn dann wieder
getroffen. Es war wie zwischen alten Bekannten.
Heute spielt er keine Rolle mehr bei Femen?
Nein.
Wie kann das sein? Noch im Juli dieses Jahres wurde Swatjskij auf der Femen-Webseite als Ideologe und Freund der Gruppe bezeichnet, nachdem er
in Kiew von Unbekannten verprügelt worden ist.
Das stimmt. Es war eine besondere Situation, er wurde schließlich fast zu Tode verprügelt. Die Ärzte haben gesagt, dass er das nicht überleben
wird. Natürlich lieben wir ihn nicht. Aber da konnten wir nicht einfach sagen: "Das ist uns egal, stirb doch einfach."
Weil Sie ihm trotz allem verpflichtet sind?
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Man hat ihn schließlich wegen seiner Beziehungen zu Femen verprügelt. Egal, was er getan hat - wir konnten
ihn nicht einfach sterben lassen. Im Krankenhaus hat man uns geraten, ihn nicht alleine zu lassen. In der Ukraine ist das nämlich so: Wenn es
diesen Menschen nicht gelingt, ihn auf der Straße zu töten, kommen sie wieder. Dann gehen sie ins Krankenhaus, schmeißen die Ärzte aus dem
Zimmer und töten ihn dort. Die schrecken vor nichts zurück. Und das wollten wir einfach nicht.
Was würde Swatskij sagen, wenn er den Film sieht?
Das ist schwierig zu sagen. Er ist ein Mann, daher würde er sich vermutlich freuen, wenn sein Name in den Nachrichten erscheint. Ihm wäre es wohl
egal, dass der Kontext so negativ ist. Ich kann das nicht richtig einschätzen, aber Männer wie er ticken so. Jeder, der das Patriarchat in
sich trägt, arbeitet wohl auf so etwas hin.
Sind Sie Kitty Green dankbar dafür, dass sie die Widersprüche von Femen mit ihrem Film öffentlich gemacht hat?
Ja,wir sind ihr dankbar. Sie hat uns Kraft gegeben, das Patriarchat loszuwerden, unter dem wir gelitten haben. Das kann man im Film gut
sehen. Vor einem Jahr hätten wir diese Geschichte nie erzählt, wir hatten Angst. Jetzt sind wir frei und zu 100 Prozent selbstständig. Wir
haben eine innere Revolution vollzogen. Daher ist es auch unsere Pflicht, diese Geschichte für alle anderen Frauen zu erzählen, die das
Gleiche erleben - im Beruf oder in der Familie. Patriarchate gibt es überall.
Haben Sie nicht die Befürchtung, der Film könne Femen schaden? Schließlich könnte der Eindruck entstehen, es handle sich
um einen inszenierten und kommerzialisierten Protest.
Der Film zeigt den inneren Kampf junger Frauen, die sich nicht einfach hinstellen und wie Puppen gegen das
Patriarchat kämpfen. Wir haben das Patriarchat am eigenen Leib erfahren und demonstrieren, dass es echt ist. Wenn man so eine Geschichte
erzählt, gibt es natürlich immer dumme Menschen, die den Mut solcher Frauen nicht verstehen. Aber Femen hat nie Angst gehabt vor solchen
Leuten. Unsere Aktionen sind so provokativ und kontrovers, dass sie eben nicht jeder versteht. Der Film richtet sich an kluge Menschen, die
wissen, dass es in jedem Kollektiv und in jeder Ideologie Kämpfe gibt. Wir hätten das auch verheimlichen können, aber wir stehen zu unserer
Geschichte, die Menschen müssen sie anerkennen. Uns ist es wichtig zu zeigen, wie leicht Feminismus entstehen kann......
Weiterlesen Bericht ntv: Interview mit Femen-Aktivistin Alexandra Schewtschenko"Wir waren Opfer eines Patriarchen"