Ich hatte ja schon einmal angesprochen, dass ich im Gegensatz zur Präsidentenwahl die Bildung der neuen Regierung im Parlament als nicht legal und auch als eine Gefahr für die ukrainische Demokratie betrachte. Zu diesem Thema passt gut der Artikel "Тушки" і сутінки української представницької демократії (hier die deutsche Version). Selber lesen lohnt auf jeden Fall, trotzdem hier ein paar Stellen, die ich besonders relevant finde (Hervorhebungen von mir):
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Vor allem diskutieren Politiker und Experten die Verfassungsmäßigkeit der Beteiligung der „Tuschki“ am Regierungswechsel. Es geht hier um den Paragraphen 83 der ukrainischen Konstitution und die spätere Präzisierung des Inhaltes dieses Artikels durch das Verfassungsgericht. Beide Dokumente – der Verfassungsartikel und das Gerichtsurteil – besagen, dass nur ein Zusammenschluss von Fraktionen als solchen eine Regierung legalisieren kann.
Wenn dem so ist, dann ist die neue Regierung verfassungswidrig. Und die Wahl der Regierung Asarow in der Abstimmung vom 11. März könnte man einen Staatsstreich nennen, die Handlungen der neuen Regierung wären illegal.
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Neben der juristischen werfen die „Tuschki“ noch ein andere Frage auf: Kann man die jetzige Regierung der Ukraine als demokratisch bezeichnen? Hier geht es weniger um die Legalität, als die Legitimität der neuen Regierung.
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Zum Zweiten wird in der Ukraine nach dem Verhältniswahlrecht mittels geschlossener Listen gewählt. Das ist natürlich kein optimales System. Allerdings kann kein Wahlsystem der Welt in puncto perfekte Konvertierung von Wählerpräferenzen in entsprechende Parlamentsvertretung als „ideal“ bezeichnet werden.
Zum Dritten wählen daher die ukrainischen Wähler – in Übereinstimmung mit diesem Wahlsystem – nicht einzelne Abgeordnete ins Parlament. Kein einziger Parlamentarier kann als vollwertiger, sich selbst genügender Vertreter des Volkswillens bezeichnet werden. Denn die Wähler haben nicht für ihn gestimmt, sondern für die Partei oder den Block, in deren Bestand er ins Parlament delegiert wurde.
Das bedeutet nicht, dass Mitglieder einer Fraktion immer gleich handeln und abstimmen müssen. Nichtsdestoweniger sieht das Verhältniswahlsystem im Lichte demokratischer Theorie als auch Praxis vor, dass die Parlamentarier für den Zeitraum der Legislaturperiode in ihren Fraktionen verbleiben. Andernfalls haben Wahlen nach dem Proportionalprinzip keinen Sinn. Die anfänglichen Proportionen der gewählten Volksvertretung müssen für den gesamten Zeitraum der Arbeit der Deputierten erhalten bleiben.
Nun mag man darüber debattieren, ob eine neue Regierung im Parlament für das Land nicht besser ist als eine erneute Parlamentswahl. Was mich besorgt, geht weit über die derzeitige Situation hinaus. Eine Partei wie die PR, die über immense Geldquellen verfügt, hat in der Vergangenheit schon in großem Maße Parlamentarier eingekauft, was dann ja vom damaligen Präsidenten Juschchenko durch eine Neuwahl verhindert und hiterher durch das Verfassungsgericht bestätigt wurde.
Was hier geschieht, ist dass nicht einfach nur die Macht zur anderen Seite übergeht (das ist normal in einer Demokratie), sondern außerdem die Regeln geändert werden, so dass bei einer zukünftigen Wahl praktisch jede durch das Volk gewählte Zusammensetzung des Parlamentes durch eingekaufte Überläufer umgehend ad absurdum geführt werden können.
Damit wäre genau das, was eine Demokratie ausmacht, nämlich ein relativ regelmäßiger Wechsel der Macht (oder, als Minimalforderung: wenigstens eine realistische Chance darauf), ausgehebelt wird. Die Folge wird dieselbe sein, die man in allen Ländern der Welt, in der eine herrschende Partei, Kaste oder Person ihre Macht auf Dauer festigt, beobachtet - Korruption, Willkür, Fehlen von Rechtsaatlichkeit.
Ich hoffe sehr, dass das Verfassungsgericht diese Machenschaften stoppt.