Hier ein Artikel aus der F.A.S.vom 6.März 2011 - ich konnte kaum glauben was da zu lesen ist : wie weit ist die heutige Ukraine vom rechtsstaatlichen Europa noch entfernt ?
Behandelt man so die eigenen Leute, wenn auch Oppositionelle ? Solch ein Gebäude gehört doch sofort abgerissen und die Insassen mit einer Entschädigung für die erlittenen Erniedrigungen entlassen !
Seuchen, Schikanen und ein unsäglicher Gestank
Das Kiewer Untersuchungsgefängnis ist berüchtigt. Dort landen immer mehr Mitglieder der früheren Regierung von Julija TimoschenkoVon Konrad SchullerKiew. Am 22. Dezember 2011, als seine Frau vor gerade zwanzig Minuten ihr drittes Kind zur Welt gebracht hatte, verließ Jewgenij Kornijtschuk, ehemals stellvertretender Justizminister der Ukraine, die Entbindungsanstalt und machte sich auf den Weg zur Staatsanwaltschaft, die ihn für diesen Tag zur Vernehmung befohlen hatte. Wenige Minuten später war er verhaftet, und kurz darauf fand er sich, noch in derselben Kleidung, in der er die Geburt seiner Tochter miterlebt hatte, auf dem nackten Zement einer Gefängniszelle wieder. Was er am Körper trug, sollte er, wie er dieser Zeitung berichtet hat, für mehr als eine Woche nicht wechseln dürfen. Am dritten Tag bekam er eine Zahnbürste, am zehnten neue Kleider.Die Kiewer "Lukijaniwka", das Untersuchungsgefängnis, in das Kornijtschuk an diesem Tage kam, ist seit Zarenzeiten eine Legende, für seinen Gestank genauso berüchtigt wie für seine Seuchen und die Bestechlichkeit seiner Wärter, düster berühmt wie das "Kresty" in St. Petersburg und die "Matroska Tichina" in Moskau. Trotz weißer Tünche wirkt es finster, ein aus Ziegeln gemauerter, festungsartiger Gebäudekomplex aus der Zarenzeit mit doppelten Mauern und Elektrozäunen. Das älteste Haus ist die "Katarinka", benannt nach der Zarin Katharina II. in Sowjetzeiten kamen eine "Stalinka" und eine "Breschnjewka" hinzu. Der neueste Trakt ist die "Kutschmowka" aus den Jahren Präsident Kutschmas (1995 bis 2005). Vor dem Eingang des "Ermittlungs-Isolators Kiew", wie die Anlage offiziell heißt, lungern winters wie sommers wartende Angehörige mit mitgebrachten Päckchen. Genauso berühmt wie das Gefängnis selbst sind seine früheren Insassen. Lenins Geheimdienstchef Felix Dscherschinskij hat hier gesessen, in Sowjetzeiten folgte der Dissident Wjatscheslaw Tschornowil, und 2001 musste die spätere Revolutionsführerin und Regierungschefin Julija Timoschenko hier die Toiletten putzen. Auch jetzt aber ist die Belegschaft der Lukijaniwka illuster. Seit nämlich die westlich orientierte Julija Timoschenko im vergangenen Jahr ihr Amt verloren hat, ist ihr Erzfeind Viktor Janukowitsch wiedergekehrt - derselbe, den die demokratische "Revolution in Orange" des Jahres 2004 von der Macht verdrängt hatte. Jetzt ist er seit einem Jahr Präsident der Ukraine, und der Hochsicherheitstrakt der Lukijaniwka füllt sich nach und nach mit Mitgliedern der früheren Regierung Timoschenko. Kornijtschuk gehört zu den Festgenommenen, dazu der frühere Innenminister Jurij Luzenko, der gewesene amtierende Verteidigungsminister Walerij Iwaschtschenko, der ehemalige Umweltminister Georgij Filiptschuk und eine größere Zahl von hohen Beamten. Die Europäische Union, die Bundesregierung sowie die Regierung der Vereinigten Staaten haben gegen die Schikanierung der Opposition durch "selektive Justiz" schon mehrmals protestiert. Über die Verhältnisse in der Lukijaniwka hat sich diese Zeitung kein unmittelbares Bild machen können, da ein Besuchsantrag unbeantwortet geblieben ist. Einen ersten Eindruck aber vermittelt Nina Karpatschowa, die Menschenrechtsbeauftragte des Parlaments. Sie erzählt zum Beispiel, wann immer sie aus dem Isolator zurückkomme, müsse sie ihre Kleidung in die Reinigung bringen, weil der Gestank unerträglich sei. Stanislaw Retschinskij, der zu Sowjetzeiten die oppositionelle Helsinki-Bewegung unterstützte und jetzt Gefangenen in der Lukijaniwka beisteht, berichtet von feuchten und dunklen Massenzellen, von Rauschgiftmissbrauch und korrupten Wärtern sowie von der Gewaltherrschaft krimineller Rädelsführer. Im Sommer wird es nach seinem Bericht im Isolator unerträglich heiß, im Winter bitterkalt, und wer niemanden hat, der ihm von außen Essen bringt, "kann mit der Verpflegung kaum überleben". Nina Karpatschowa hat dieser Zeitung gesagt, von den 3200 Insassen des Kerkers hätten 500 kein eigenes Bett und müssten im Schichtbetrieb schlafen. Das Schlimmste an der Lukjaniwka aber sind die Seuchen. In ihrem letzten Jahresbericht schreibt die Menschenrechtsbeauftragte, die Tuberkulose-, Hepatitis- und HIV-"Epidemie" in den ukrainischen Strafanstalten habe allein im vergangenen Jahr 807 Menschenleben gefordert. Gemessen an internationalen Maßstäben, seien die Zustände in ukrainischen Untersuchungsgefängnissen "eine Form der Folter". Die inhaftierten Oppositionellen haben es in der Lukijaniwka allerdings offenbar etwas besser als die "normalen" Gefangenen. Auch von ihnen hört man zwar Beunruhigendes. Der frühere Chef des Zolls, Anatolij Makarenko, hat dieser Zeitung über seinen Anwalt von Ratten und Einschusslöchern in den Bädern berichtet (sie stammen offenbar noch von den Hinrichtungen aus Sowjetzeiten), und Kornijtschuk, der unlängst wieder freigekommen ist, sagt, wegen der Kälte in seiner Zelle sei er dauernd krank gewesen. Kornijtschuk hat aber auch betont, dass weder er noch der frühere Innenminister Luzenko in Massenzellen gehalten worden seien. Statt dessen hätten sie in etwa acht Quadratmeter großen Drei- oder Vier-Personen-Zimmern mit Zementboden ihre Tage verbracht, für Hofgänge habe ihnen ein vergittertes Freigehege von etwa zehn Quadratmetern zur Verfügung gestanden. Seine Zelle sei Tag und Nacht erleuchtet gewesen, die Toilette durch eine niedrige Sichtblende vom übrigen Raum getrennt. Er habe einen Fernseher gehabt und einen Kühlschrank. Trotz dieser vergleichsweise luxuriösen Verhältnisse drohen den verhafteten Politikern spezielle Gefahren. In der Ukraine können Untersuchungsgefangene fast unbegrenzt festgehalten werden, und die Opposition fürchtet deshalb, ihre Führer könnten für Jahre in den "Isolatoren" verschwinden. Die Menschenrechtsbeauftragte spricht von einem "Missbrauch" der Untersuchungshaft und weist darauf hin, dass allein in der Lukijaniwka 34 Häftlinge schon seit 2007 ohne Urteil einsäßen und sieben sogar seit 2002.Mehrere Gefangene berichten über Schikanen und Erpressungsversuche. Luzenkos Bruder Serhij hat dieser Zeitung erzählt, die Anwälte des früheren Innenministers seien manchmal erst dreißig Minuten vor der angesetzten Zeit von Gerichtsterminen informiert worden und hätten dann wegen des katastrophalen Kiewer Verkehrs nicht erscheinen können. Kornijtschuk sagt, die Formalitäten im "Isolator" seien so umständlich, dass ein Anwaltsbesuch einen ganzen Tag dauere. Darüber hinaus berichtet er, dass die Ermittler ihn durch Gewährung und Entzug von Hofgängen, Verwandtenbesuchen und Essenslieferungen bedrängt hätten. "Wenn du zusammenarbeitest" habe man ihm einmal gesagt, "kannst du deine Frau sehen." Als er die Frau dann durch die Glasscheiben des Besuchertrakts zum ersten Mal nach seinem Abschied in der Entbindungsstation wiedergesehen habe, habe sie die ganze Zeit nur geweint.Luzenko hat der Zeitung "Kiyv Post" erzählt, einmal habe er zwanzig Stunden lang nichts zu Essen bekommen. In dieser Zeit habe man ihn informiert, dass nun auch sein Sohn verhört werde, und kurz darauf habe man ihn aufgefordert, ein Geständnis abzulegen. Manche Berichte deuten auch darauf hin, dass Gefangene mit ihren Krankheiten unter Druck gesetzt werden. Der Anwalt Makarenkos hat berichtet, sein Mandant sei einmal zehn Stunden lang verhört worden, obwohl ein Arzt eine hypertensive Krise (akuten Bluthochdruck) festgestellt habe. Diese Darstellungen sind zwar nicht nachprüfbar, doch manches deutet darauf hin, dass sie wahr sein könnten. So hat das Anti-Folter-Komitee der Vereinten Nationen immer wieder auf Berichte über Misshandlungen in ukrainischen Gefängnissen hingewiesen. In einer Ausarbeitung der Menschenrechtsbeauftragten heißt es, Häftlinge hätten oft nur begrenzten Zugang zu Anwälten und unabhängigen Ärzten. Laxe Kontrollen hätten zudem bei folternden Vollzugsbeamten ein "Gefühl der Straflosigkeit" hervorgebracht. Insgesamt, so folgert Karpatschowa in ihrem Bericht für das Jahr 2010, gelte für die "Isolatoren", in denen das Regime Janukowitsch jetzt die Führung der Opposition versammelt, ein eindeutiges Urteil: Die Verhältnisse dort sind "erniedrigend für die Würde des Menschen".Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 06.03.2011, Nr. 9 / Seite 8