Mit Interesse hab ich im Thread "Jugendamt in der Ukraine " gelesen. Da aber dort langsam am Thema vorbei geschrieben wird, poste ich dies nun hier rein.
Wenn ich hier die User lese, dann merke ich immer wieder "Die einen finden den Westen toll, die anderen den Osten". Beides ist meiner Meinung die Wahrheit, kommt nur drauf an was man jeweils erlebt hat, wie man es sieht etc.
Um ein Verständnis herbei zu führen, greife ich oftmals zu Geschichten, die ich selbst erlebt habe und somit fahre ich mit einer solchen Geschichte fort:
Ich bin in der beschaulichen, reichen Schweiz geboren, in einem Land, wo viele glauben, das die gebratenen Tauben einem in den Mund fliegen würden. Ich wurde 1963 als uneheliches Kind geboren und bekam damit schon mal in der Familie und Nachbarschaft den Stempel "schwarzes Schaf" aufgedrückt. Da half auch nichts, das meine Eltern doch noch heirateten (auf Druck meiner Grosseltern). Die Scheidung erfolgte dann bereits wieder ein Jahr später und ich verbrachte meine nächsten 5 Jahre bei meinen Grosseltern väterlich seits. Mein Grossvater war Alkoholiker, arbeitete aber fleissig und meine Grossmutter (eine wirklich tolle Frau) machte noch zusätzlich Heimarbeit. An das wenige, was ich mich aus dieser Zeit erinnern kann, waren etwas vom besten in meiner Kindheit. Nach meinem fünften Lebensjahr heiratete mein Vater wieder und da gings los!
Ich musste ab sofort bei meinem Vater und meiner Stiefmutter wohnen. Mein Vater frönte schon ab seinem 16. Lebensjahr dem Alkohol und ist in der Zwischenzeit zum Alkoholiker geworden. Meine Stiefmutter war eigentlich in ihrem Wesen ein gute Frau, aber sie war damals zu jung um sich gegen ihren Mann durchzusetzen. Schläge von meinem Vater an der Tagesordnung. Ein blutunterlaufener Arsch meinerseits auch. Im Schnitt zogen wir halbjährlich um (da mein Vater die Kohle versoff und die Miete nicht bezahlen konnte). Freunde hatte ich dadurch keine. Spielen draussen, das war für mich verboten. Mein Vater erfand immer wieder Sachen, wo ich angeblich gelogen hatte und ich musste dann tausend mal schreiben "Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht und wenn er auch die Wahrheit spricht". Hatte ich einmal irgendwo einen i Punkt vergessen, dann wurde es zerissen und ich durfte wieder von vorne anfangen. Ich staune noch heute, woher er die Kohle für das viele Papier nahm...
Ja, da kam noch was anderes, mein kleiner Bruder wurde geboren. Der absolute Liebling meines Vaters. Ich erinnere mich noch genau an eine Episode von damals. Mein kleiner Bruder hat mit einer Batterie nach mir geschmissen, mein Vater schaute zu, ich bückte mich und wumms war das Fenster hinter mir kaputt. Die Prügel bezog natürlich ich, da ich mich gebückt hatte.
Wir wohnten eigentlich immer in alten Häusern, wo ausser die Stube und die Küche keine Zimmer beheizt waren. In die Küche durfte ich nur, wenn ich den Abwasch machen musste, die Stube war für mich ein absolutes Tabu. So ab meinem zehnten Lebensjahr fing dann meine Rebellion an. Ich haute von Zuhause ab. Die Vormundschaftsbehörde schaltete sich ein, aber für den Moment änderte sich nichts an der Situation. Mir wurde lediglich erklärt, das ich nicht erziehbar war. Ich sollte froh sein, dass ich einen Vater habe, der mir ein Dach überm Kopf gab. Viele Afrikaner hätten das Glück nicht. Toll, eine solche Aussage von der Vormundschaftsbehörde. Auch in der Schule ging es ähnlich zu und her. Ich war der Sohn eines Säufers und den kann man auf den Kopf kacken.
Ich haute damals immer wieder von Zuhause ab...immer zu meiner Grossmutter, die eine Zentrale Rolle in meinem Leben spielte, dort wo ich immer meine Schulferien verbrachte und glücklich war. Das Ergebnis meines "abhauens" war, das ich in ein Kinderheim gesteckt wurde (war eine gute Zeit!)
Ach ja, weshalb kam ich nicht zu meiner Mutter? Nun, auch sie liebte den Alk und noch mehr die Männer...
Warum schreibe ich diese Geschichte? Wenn ich hier lese, dann muss ich einmal sagen, das dies nicht nur ein ukrainisches Problem ist. Auch bei uns gibts dass und mehr als man denkt. Es ist einfach besser versteckt bei uns!
Mein Titel heisst "blauäugig". Ist es nicht so, dass jeder seine Welt so zusammen bastelt, dass es für ihn stimmt? Es kommt nicht drauf an, wo man wohnt, es kommt drauf an, was man macht. Es ist mir schon klar, dass z.Bsp. in der Ua schwieriger ist als In der Schweiz oder Deutschland. Aber es ist auch bei uns nicht alles Gold was glänzt!
Und wenn man unbedingt in den Westen will, ja, das hat auch so seine Tücken. Das erlebt jetzt gerade meine Frau (sie meistert diese aber mit bravour) Hier arbeitet man auch wie ein Ochse, man verdient zwar gut, aber für den Durchschnittsmenschen, reichts auch gerade nur bis zum Monatsende. Und die Armen (gibts in der Schweiz auch viele), die drehen jeden Cent mehr als einmal um...