Nach berufs- und krisenbedingten Kapriolen habe ich es nach 3jähriger Abstinenz endlich mal wieder in die Ukraine geschafft. Und, ich muss sagen, ich war teilweise sehr angenehm überrascht, teilweise aber auch entsetzt. Grundsätzlich scheint es jedoch so zu sein, dass sich die Lebenssituation in der Ukraine seit meinem letztem Besuch wesentlich verbessert zu haben. Als Massstab kann ich natürlich nur die Familienangehörigen meiner Frau nehmen. Da ich nicht vorhabe, hier mehrere neue Threads aufzumachen, fasse ich hier alles wesentliche zusammen.
Dauerbrenner DAI: Als sehr angenehm fand ich das neue "Outfit" der Strassenpolizei. Es wirkt irgendwie wesentlich freundlicher wie früher, und offensichtlich ist mit dem äusseren Wandel auch ein Gesinnungswandel einhergegangen. Denn, obwohl ich mich strikt an die Geschwindigkeitsbegrenzungen gehalten habe, kam es eben wie es kommen musste. Mitten in einem Dorf in der Westukraine fing eine Baustelle an, die Geschwindigkeit wurde auf 40 reduziert. Die Baustelle endete offensichtlich irgendwo in der Pampa, und ich beschleunigte dementsprechend wieder auf 90. Und schon standen sie da, die DAI, und hielten mich an. Ich befand mich, so der Polizist, eben noch mitten in der Ortschaft. Beide Polizisten waren im übrigen ausgesprochen freundlich, wollten mir auch das Video meiner Verfehlung zeigen, und haben, nach einigem hin und her, sowohl auf eine Bestrafung als auch die üblichen Bestechungsgelder.
Strassenzustände: Wir waren in Zaporizhzhya, sind auf dem Hinweg den vom Navi empfohlenen Weg über Jahogin, Kovel, Zhitomir, Kiev, Kremenchug, Dneprcershinsk, Solone nach Zapo gefahren. Abgesehen von Dneprcershinsk waren die Strassen in einem für die Ukraine zufriedenstellendem bis sehr gutem Zustand. Zurück sind wir unsere alte Route südlich des Dneprs über Solone, Smilla, Kiev und Ustilug gefahren. Die Route südlich des Dneprs ist schlechter, dafür der Verkehr aber weniger, sodass wir letztenendes doch schneller voran kamen.
Verkehrssituation: Die Fahrerei in der Ukraine wird immer gefährlicher. Die Verkehrsdichte hat ziemlich zugenommen, und ich habe dementsprechend noch nie so viele Autowracks oder "frische" Verkehrsunfälle mit Toten und Verletzten wie bei dieser Reise gesehen. Und ich bin jetzt schon 8 Mal in der Ukraine gewesen. Die Leute rasen teilweise bei Rot über die Ampel und überholen an total blödsinnigen Stellen. Es gab aber auch sehr viele Verkehrsteilnehmer, welche sich als ausgesprochen rücksichtsvoll erwiesen, und sogar den Fussgängern auf den Zebrastreifen eine lebensbejahende Querung der Strasse ermöglichten.
Grenzsituation: Die Einreise bei Jahogin ist schnell abgehakt. Sie dauerte knappe 30 Minuten. Die Ausreise bei Ustilug stellte sich jedoch anders da. Es war eigentlich nicht sonderlich viel los, trotzdem dauerte sie gute 6 Stunden. Grund sind die polnischen Grenzer und ihr (aussichtsloser) Kampf gegen die Schmuggler. Man darf jetzt im übrigen nur noch 2 Schachteln Zigaretten pro Person nach Polen einführen. Ich zeigte dem polnischen Grenzer völlig unbedarft eine Plastiktüte mit 9 Schachteln, woraufhin dieser mich sofort bat, diesen Beutel zu verstecken. Er sagte mir auf englisch, dass ich offensichtlich nur Tourist bin, und eben nicht mehrmals täglich die Grenze passiere, und er daher nochmal beide Augen zudrücken würde.
Navigationssytem: Das ist eine ziemlich zwiespältige Geschichte. Ich nutze ein älteres Becker Z099, wofür ich mir extra für die Reise ein neueres Ukraineupdate holte. Grundsätzlich empfand ich das Navissystem als ausgesprochen hilfreich, aber, man sollte ihm tunlichst nicht die gesamte Streckenführung überlassen. So schickte mich das Navigerät auf Strassen, welche ausschauten, als wären sie ein Artillerietestgelände. Von Schlaglöchern zu sprechen ist eine Untertreibung sondergleichen. Nur mit viel Glück und Geschick konnte ich diese Strassen meistern. Besser ist es, die Route schon zu hause festzulegen, und im Navi abzuspeichern. So kann man sicher sein, dass man stets auf Hauptstrassen unterwegs ist, und sich voll und ganz dem Verkehrsgeschehen widmen. Eine andere Möglichkeit ist, dass der Beifahrer einen Teil der Navigation übernimmt, um die kleineren Strassen zu umfahren. Gute Ukrainekarten gibt es jedoch, wen wundert es, nur in der Ukraine. Es sind daher schon gute Sprachkenntnisse notwendig, um diese Möglichkeit zu nutzen. Desweiteren ist die Ukraine noch nicht 100%ig digitalisiert worden. Das bedeutet, dass Dörfer zwar erfasst sind, die jeweiligen Strassennamen jedoch nicht. Ebenso Zieladressen in Städten lassen sich, zumindestens mit meiner Nactec-Software nur bedingt finden, weil die vielen kleinen Gassen und Gässchen z. B. in Wohngebieten, nur unzureichend oder gar nicht erfasst sind.
Hotels: Wir haben in der Ukraine 4 Mal in Hotels übernachtet, 2 Mal in der Westukraine, 2 Mal im Intourist in Zaporizhzhya. Bei der Einreise nutzten wir ein uns schon sehr gut bekanntes Holzhotel bei Lutsk, welches an der H22 liegt. Die Zimmer waren sehr schön eingerichtet mit heisser Dusche und WC, der Kurs lag bei 270 Griwna für ein einfaches 2-Personen-Zimmer. Über das angeschlossene Restaurant kann ich nichts sagen, weil wir Selbstversorger waren. Bei der Ausreise übernachteten in einem sehr kleinem Hotel, ca. 16 km westlich von Koretz an der M06. Dieses Hotel nebst Restaurant war der absolute Hammer. Übernachtung für 2 Personen in einem sehr schönen und sauberen Zimmer mit heisser Dusche und WC: 200 Griwna. Fürstliches Abendessen mit Wodka, Kaffee, Cola und 2 sehr guten Portionen mit Kalbsfleisch und Salat: 60 Griwna. Eher enttäuscht war ich vom 4-Sterne Intourist in Zapo. Die Betten waren schlecht (Ich musste aufpassen, dass ich dort nicht rausfiel), dass Frühstück mässig, die Dusche lauwarm, dafür der Preis mit 930 Griwna auf 4-sterne-Niveau. Dieses Hotel ist nur noch bedingt empfehlenswert. Subjektiv empfunden war der Standard dort vor 7 Jahren besser.
Allgemeines: Nach wie vor ist das Personal in den Geschäften ziemlich unfreundlich. Vor dem Tresen stehend lassen die einen glatt verhungern. Dieses änderte sich jedoch, als ich anfing, das Personal etwas lauter auf Deutsch anzusprechen . Während unseres Aufenthaltes in Zapo waren wir in einer familieneigenen Wohnung untergebracht, welche momentan leer stand. Sie war sehr, sehr einfach eingerichtet, und mit einem sehr gut funktionierendem gasbetriebenen Durchlauferhitzer ausgestattet. Trotz ihres postsovjetischen Charmes gefiel es uns dort sehr gut. Einen 3-Tagestrip unternahmen wir an das Asowsche Meer bei Kiriliwka. 2 Übernachtungen mit 4 Personen kamen auf 900 Griwna, zzgl. 400 Griwna für 6 Mahlzeiten in der Kantine. Nun ja, diese Kantinenmahlzeiten waren grundsätzlich kalt, wenn auch durchgegart, aber grundsätzlich ausreichend und geniesbar. Ich betrachtete sie jedoch als Gulag-Fütterung. Denn, zuerst wurden alle Portionen auf den Tischen verteilt (so war sichergestellt, dass das Essen immer kalt war), daraufhin erfolgte eine Durchsage per Lautsprecher, woraufhin alle Gäste gleichzeitig in die Kantine stürmten, um sich an die zugewiesenen Tische zu setzen. Aufgrund meiner Kommentare boten mir Frau nebst Tochter und Enkelkind an, dass nächste Mal ein Hotel zu nehmen, wo es nur eine kollektive kalte Dusche und WC je Etage gibt. Ich hatte dieses Vergnügen schon in Kiev erleben dürfen, und lehnte daher dankend ab.
Grundsätzlich hat sich in dem Land jedoch sehr viel verändert. Man merkt dieses an Kleinigkeiten, wie z. B. den Toiletten in Tankstellen, Restaurants und Cafes, welche zwar nach wie vor rar, aber stets in einem gutem Zustand waren. Es hat Spass gebracht, mal wieder in der Ukraine zu sein. Nächstes Jahr geht es wohl wieder nach Italien, Frankreich oder Spanien, aber dann wieder ins gelobte Land meiner Frau.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.